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    12. Dezember

    Für den dritten Advent haben wir im Rahmen des Offenen Adventskalenders der Stadtbücherei und des Kleinen Antiquariats von Ursula Germann eine Lesung „Weihnachten anno dazu mal“ vorgesehen. 15:00 bis 17:00 Uhr.

    Geplant war, dass die Autorin Christine Kaula aus ihrem Buch „Die Frauen vom Heintzenhof“ (Rhein-Mosel-Verlag) vorlesen sollte. Leider ist Frau Kaula aus gesundheitlichen Gründen verhindert. Also werden wir aus dem Buch vorlesen.

    Hier die beiden Passagen aus dem Kapitel 11: Weihnachten am Rhein

    Dezember 1952. Der Zug fuhr langsam über eine Weiche, es ratterte und schlug laut. Der neunjährige Werner hielt seine Nase an die Fensterscheibe gepresst und betrachtete die Landschaft. Er hatte sich so auf die weite Reise nach Köln gefreut, die er mit Marie zu seinen Eltern nach Köln machen durfte. Jetzt, kurz vor Weihnachten, war der Zug so voll, dass er sich einen Platz mit ihr hatte teilen müssen. Oft musste der Junge stehen, weil er seiner Pflegemutter zu schwer geworden war. Langsam bog der Zug von der Ahrstrecke von Bodendorf her in weitem Bogen nach Remagen ein. „Gleich müssen wir umsteigen“, Marie reckte sich nach dem Gepäcknetz, um den kleinen Koffer herunterzuheben. Mit der anderen
    Hand zog sie den Jungen vom Sitz hoch. Gleich ihnen wollten viele der Reisenden umsteigen. Deshalb mussten sie im Gang warten, bis sie den Zug verlassen konnten. Der Junge konnte es kaum erwarten, bis die Reise weiterging. Von der letzten Fahrt nach Köln her wusste er noch, dass er gleich freie Sicht auf den Rhein haben würde. „Schau hier“, rief Marie plötzlich und wies auf zwei Brückentürme, die in einiger Entfernung am Fluss zu sehen waren, „hier stand mal eine Brücke, die ist zum Ende des Krieges eingestürzt.“ Doch sonderlich interessierten Werner die Relikte der ehemaligen Ludendorff-Brücke nicht. Viel spannender waren die Bilder, die der breite Strom mit den Schleppern, die mit ihren Kähnen den Rhein auf- und abwärts fuhren, dem staunenden Kind bot. Die Fahrt von Remagen nach Bonn führte weiter
    am Rhein vorbei, durch Oberwinter, dann am Rolandsbogen vorbei und weiter Richtung Bonn. Doch der Drachenfels auf der anderen Rheinseite über Königswinter gelegen, von dem Werner schon eine Sage aus seinem Lesebuch kannte, hielt sich bereits hinter den Nebelschleiern des frühen Abends verborgen. „Auf der Rückfahrt kannst du den Drachenfels sehen“, tröstend strich Mariechen ihm über die schwarzen Locken.

     

    Schließlich war Weihnachten gekommen, das Fest, auf das sich die Kinder am meisten gefreut hatten. Käthe hatte sich lange den Kopf zerbrochen darüber, was sie ihren vier Kindern schenken könnten. Pfennig für Pfennig hatte sie aufeinander gelegt, alles, was sie hatte erübrigen können. Jedes Kind sollte doch wenigstens eine kleine Freude haben. Dann hatte es eine Überraschung gegeben. Der Patenonkel ihrer kleinen Franzi, ein selbstständiger Malermeister, hatte ihr fünfzig Mark gegeben. Davon sollte sie Geschenke für Franzi kaufen. Sie war so glücklich darüber gewesen. Am Heiligabend mussten die Kinder, wie stets, früh zu Bett. Dann schmückten Vater und Mutter die kleine Fichte mit weißen Kerzen, silbrig glitzernden Kugeln, Vögeln, Glöckchen und Lametta. Und als die Kinder am Weihnachtsmorgen noch im Nachthemd in die Küche hinunter kamen, war im Wohnzimmer, das nur an hohen Feiertagen geheizt wurde, der Gabentisch aufgebaut. Klaus bekam eine Dampfmaschine und ein Karl May Buch, Karin zwei Bücher und eine neue Schultasche, die kleine Franzi eine schöne Puppe mit langen schwarzen
    Haaren und einem rosa Prinzessinnenkleid. Käthe hatte ihre kargen Feierabendstunden mit Stricken verbracht und für jedes ihrer Kinder noch einen Pullover gefertigt. Und Werner? Auf seinem Platz lag ein großes, längliches Paket. Er öffnete es, wobei ihm der Vater half, und schaute hinein: „Eine Geige“, brach es aus ihm hervor. Eine Geige zu besitzen, war schon immer sein Wunsch gewesen. Seine Augen strahlten. „Es ist keine Geige, sondern eine Mandoline“, verbesserte Paul ihn, „aber du kannst damit auch tolle Musik machen.“ Werner holte das Instrument heraus und strich mit der Hand über die Saiten. „Man muss es zupfen“, Paul zeigte es ihm, der Himmel wusste, woher er es konnte. Die Mandoline war natürlich nicht neu, Paul hatte sie durch einen Arbeitskollegen billig erwerben können. Eine Geige zu kaufen, war einfach nicht schaffen gewesen, weil das Geld ... Es war eben immer das Geld.
    „Du kannst bei euch im Musikverein bestimmt Unterricht bekommen“, meinte Paul, dem die Mandoline selbst sehr gut gefiel. Vor der Hochzeit war er nicht nur im Fußballverein gewesen, er hatte auch eine schöne Stimme und war lange Mitglied im örtlichen Gesangverein gewesen. Sogar ein bisschen Klavier spielen konnte er und Mundharmonika sowieso. Musik lag ihm im Blut. Dann aber war der Krieg gekommen. Und nun war keine Zeit mehr und auch kein Geld mehr da für seine Hobbys. Aber er hatte jetzt wenigstens Arbeit. Das war das Wichtigste.

    Abends schalteten sie das Radio ein und hörten die Weihnachtsansprache Konrad Adenauers: „Es ist wohl so! Der Frieden ist das höchste Gut, das Gott den Menschen geben konnte durch die Menschwerdung seines Sohnes. Frieden! Ach wie wenig haben wir Menschen erkannt, welch ein kostbares Gut der Frieden ist. Wie wenig haben wir begriffen, dass Frieden die Grundlage alles Glückes ist, dass Frieden und Ehre Gottes eng verbunden sind.“