Der Runde Turm – Wahrzeichen der Stadt Andernach
Allgemeine Informationen
Der aus dem 15. Jahrhundert stammende Runde Turm ist das Wahrzeichen der Stadt Andernach. Als nationales Baudenkmal und Meisterwerk der gotischen Baukunst kündet der Turm den Herannahenden bereits aus der Ferne vom städtischen Stolz und bürgerlichen Selbstbewusstsein des Spätmittelalters.
56 Meter misst der Runde Turm vom Boden bis zu seiner höchsten Spitze. Er zählt damit zu den mächtigsten
mittelalterlichen Wehrtürmen im deutschsprachigen Raum.
Baugeschichte
Der Runde Turm ist einer der mächtigsten mittelalterlichen Wehrtürme im deutschsprachigen Raum. Mit einer Höhe von 56 Metern übertrifft er vergleichbare Bauwerke wie etwa den Oberweseler Ochsenturm (um 1350), der als ein Vorbild für den Andernacher Turm gedient haben dürfte.
Der Andernacher Bau gehört zum Typus der sogenannten „Butterfasstürme“, auf deren mächtigen Basistürmen sich
etwas schlankere Turmaufsätze erheben.
Baubeschreibung
Der runde Basisturm ist 33 Meter hoch und weist eine Mauerstärke von bis zu 4 Metern auf. Das Mauerwerk besteht im Wesentlichen aus Schieferbruchsteinen (Grauwacke), die am Andernacher Krahnenberg gebrochen wurden, sowie in geringeren Anteilen aus Tuffstein aus der Nähe des Laacher Sees.
Gewände, Stufen und Teile der Bauplastik wurden aus Basaltlava gefertigt. Nach oben hin wird der ansonsten ungegliederte Basisturm von einem umlaufenden Maßwerkfries und der Brüstungsmauer des Wehrgangs mit dem Wärterhäuschen und dem Aborterker sowie den Pechnasen abgeschlossen.
Der 23 Meter hohe Turmaufsatz hat einen achteckigen Grundriss und wird durch ein Horizontalgesims in zwei Stockwerke gegliedert.
Im oberen Teil befinden sich vier Reliefs mit Darstellungen des Andernacher Stadtwappens aus Tuffstein (1880 erneuert). Darüber trennt ein Maßwerkfries die markante Bekrönung des Turmes mit ihren acht Dreieckgiebeln (jeweils von Firstblumen aus Basalt bekrönt, 1952 erneuert) und dem Pyramidaldach mit der abschließenden Kreuzblume (1952 erneuert) ab.
Das Innere des Turmes weist fünf (bzw. sechs) Ebenen auf. Das Untergeschoß bildet die sogenannte „Deusterkammer“, ein zehn Meter tiefes Verlies, das nur über eine Falltür („Angstloch“) von oben zugänglich ist. Darüber befinden sich zwei repräsentative Säle mit gotischen Gratgewölben, von denen der untere heute durch eine hölzerne Zwischendecke unterteilt ist.
Der achteckige Turmaufsatz beherbergt ebenfalls einen gotischen Gewölbesaal (heute durch eine Zwischendecke unterteilt), über dem zwei niedrigere und einfacher gestaltete Räume den oberen Turmabschluss innerhalb des Turmhelms bilden.
Baurechnungen
Über den Bau des Runden Turms sind wir aufgrund mehrerer erhaltener Baurechnungen aus der Zeit zwischen 1440 und seiner Fertigstellung im November 1453 recht gut informiert. Bereits 1442 wird demnach ein (wohl behelfsmäßiges, aus Holz gefertigtes) Dach auf dem Turm bei einem Sturmbeschädigt. Daraus kann gefolgert werden, dass der Turm in dieser Zeit bereits eine gewisse Höhe erreicht hatte. Vieles spricht auch daher dafür, dass der Turm in zwei großen Bauabschnitten gebaut wurde: Möglicherweise entstand bereits ab etwa 1412 der runde Basisturm und dann zwischen 1448 und 1453 der achteckige Turmaufsatz mit seiner repräsentativen Bauplastik.
Für die Baumaßnahmen der zweiten Bauphase ist uns ein städtischer Werkmeister namens Philipp Preudemann namentlich überliefert. Die Andernacher Baumeisterrechnungen aus der Zeit zwischen 1448 und 1453 geben uns einen detaillierten Einblick in die Welt der spätmittelalterlichen Baustelle: So wurden als Baumaterial Bruchsteine vom Krahnenberg, dem Andernacher Hausberg, sowie in geringerem Maße Tuff aus der Nähe von Weibern und des Laacher Sees verwendet. Für Treppenstufen, Firstblumen, Fenster- und Türsteine wurde Basalt aus den Brüchen bei Niedermendig gekauft. Zum Transport des Baumaterials in die Höhe des Turms diente ein Tretkran.
Ende 1453 war der monumentale Bau vollendet. Aus den Rechnungen für die Jahre 1448–50 und 1452–53 lassen sich Baukosten in Höhe von 6.130 Mark, 7 Schilling und 9 Pfennig (12 Schilling = 1 Mark) errechnen, wobei für 1451 keine Rechnung vorliegt.
Zum Vergleich: Tagelohn eines Steinmetzen und Maurers (1448–50): 9 Schilling, Tagelohn eines Handlangers: 7 Schilling, 200 Heringe: 6 Mark (1442), 2 Paar Schuhe: 1 Mark und 4 Schilling (1449), zwei Stiere aus Linz: 34 Mark (1432).
Die Stadt Andernach ließ sich den Bau des Runden Turms also ein regelrechtes Vermögen kosten.
Der Runde Turm hielt mit seinen im Basisturm rund vier Meter starken Mauern allen Stürmen der Zeit stand. Auch der Beschuss durch Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 konnte den steinernen Riesen nicht in die Knie zwingen. Noch heute zeugt ein tiefer Einschlagkrater in der südwestlichen Außenmauer von dem gescheiterten Sprengversuch.
Nachdem die Stadtmauer mit ihren Toren und Türmen im 18. Jahrhundert ihre strategische Bedeutung verloren hatte, setzte der Verfall dem Runden Turm mehr und mehr zu. Dieser „Ruinen-Romantik“ setzte Victor Hugo 1840/42 ein eindrucksvolles literarisches Denkmal
(siehe [Link Marinekameradschaft:] http://marinekameradschaft-admiral-hipper.de/).
1819 hatte der preußische König Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797–1840) die Stadtmauer mit ihren Türmen und Toren der Stadt Andernach geschenkt. Bald danach begannen die Andernacher damit, Teile der Befestigung abzureißen. Angeblich gab es damals sogar Überlegungen, den Runden Turm dem Erdboden gleich zu machen. Diese Idee wurde jedoch glücklicherweise wieder fallengelassen – sicherlich auch unter dem Eindruck des aufblühenden Tourismus im Zeitalter der „Rheinromantik“, die den Runden Turm als Motiv für sich entdeckt hatte.
1880 wurde die erste größere Restaurierungsmaßnahme der Neuzeit am Runden Turm durchgeführt; insbesondere wurden schadhafte Bereiche an der Turmspitze und am Wehrgang erneuert.
In diesem Zuge wurden auch die vier Tuffreliefs mit den Darstellungen des Andernacher Stadtwappens ersetzt (heraldisch falsch, nämlich senkrecht). Trotz dieser Restaurierungen stürzte bereits im Jahre 1916 ein ca. acht Meter breites Stück der Brüstungsmauer ab.
Als am 9./10. März 1945 amerikanische Truppen Andernach einnahmen, wurde der Runde Turm beschossen und im oberen Bereich schwer beschädigt. Zwischen 1950 und 1952 konnten die Kriegsschäden behoben werden; der Runde Turm erhielt damals auch eine neue Kreuzblume aus Basaltlava aufgesetzt.
Die Wiederherstellungsarbeiten wurden unter der Leitung des Andernacher Architekten Lubens Mandt (1877–1960) ausgeführt.
1985/86 und 2003 wurde der Runde Turm zuletzt umfassend saniert.
Nutzungsgeschichte
Der Runde Turm als Teil der Stadtbefestigung und städtisches Gefängnis
Der Runde Turm ist Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung Andernachs, die ab ca. 1200 unter Einbeziehung der spätrömischen Kastellmauer errichtet wurde. An exponierter Stelle an der Nordwestecke der Stadtmauer gelegen,
kündete er schon aus der Ferne von der Wehrhaftigkeit und dem Reichtum der spätmittelalterlichen Hafen- und
Händlerstadt Andernach.
Der Runde Turm war als Wacht- und Wehrturm, aber auch als städtisches Gefängnis konzipiert. Auf ihm lebte zumindest zeitweise ein Turmwächter, der aus luftiger Höhe einen hervorragenden Überblick über die gesamte Stadt und ihr Umland hatte. Für das Jahr 1515 sind wir über die Aufgaben des Turmwächters namens Blasius, dem Trompeter, informiert. Er lebte gemeinsam mit seiner Mutter auf dem Turm.
Morgens und abends hatte er seine Trompete zu blasen, ebenfalls sollte er Signal geben, wenn sich der Stadt auf dem Rhein ein Schiff näherte. Sicherlich war er auch dafür zuständig, im Falle von Bränden und herannahenden Feinden Meldung zu geben. Die Stellung als Turmwächter war angesehen, so durfte Blasius die Kleidung eines städtischen Ratsdieners tragen.
Für das 16. Jahrhundert sind zahlreiche Schusswaffen bezeugt, mit denen im Verteidigungsfalle die Angreifer vom Runden Turm herab abgewehrt werden sollten.
Ein zeitgenössischer Kupferstich zeigt uns, dass der Runde Turm im Jahre 1591 zur Verteidigung der Stadt mit Schusswaffen gegen die Truppe des Olivier van den Tympel gedient haben dürfte.
Auch als städtisches Gefängnis wurde der Runde Turm genutzt. Mehrere Berichte von hier eingekerkerten und vermutlich auch gefolterten vermeintlichen Hexen und Zauberern sind überliefert. Sie dienten noch lange Zeit als Grundlage für Spukgeschichten, die in der Andernacher Bevölkerung kursierten (siehe auch LINK hier).
Städtischer Repräsentationsbau
Neben seiner praktischen Bedeutung für die städtische Verteidigung und als Gefängnis war der Runde Turm von Beginn an auch ein städtischer Repräsentationsbau. So prangen vier großformatige Tuffreliefs (1880 erneuert) an prominenter Stelle auf den Außenmauern des achteckigen Turmaufsatzes. Der Turm wurde in einer Zeit errichtet, als das Selbstbewusstsein der Stadt Andernach und ihrer Bürger nach der Niederschlagung des Aufstandes gegen den Kölner Kurfürsten als Landesherrn 1357–67 wieder erstarkt war. Dem Status der mächtigen Stadt verliehen die Andernacher mit dem Bau des Turmes monumentalen Ausdruck. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Runde Turm recht genau die Höhe der Westtürme der benachbarten Pfarrkirche Maria Himmelfahrt (um 1180/90–um 1220) erreicht: Stand der Mariendom für die Macht der Trierer Erzbischöfe als dem geistlichen Stadtherrn und die Burg der Kölner Erzbischöfe (13.–16. Jh.) als Machtdemonstration der weltlichen Herren über die Stadt, setzten sich die Andernacher Bürger mit dem Runden Turm am exponierten Ort ein eigenes Denkmal ihres neuen Selbstbewusstseins und ihrer Wehrhaftigkeit.
Im 19. Jahrhundert
Spätestens im 18. Jahrhundert hatte der Runde Turm, ebenso wie die gesamte mittelalterliche Stadtbefestigung, die ursprüngliche Wehrfunktion verloren. 1819 schenkte der Preußische König Friedrich Wilhelm III. die gesamte Stadtmauer mit allen Türmen und Toren der Stadt Andernach. Bald danach begannen die Andernacher damit, Teile der Befestigung abzureißen. Angeblich gab es damals sogar Überlegungen, den Runden Turm dem Erdboden gleich zu machen. Diese Idee wurde jedoch glücklicherweise wieder fallengelassen – sicherlich auch unter dem Eindruck des aufblühenden Tourismus und der sogen. „Rheinromantik“. 1849 wurde der Turm zwecks Einrichtung einer Schrotmühle verpachtet.
Jugendherberge (1922–35 und 1949–61)
1922 wurde im Runden Turm auf Betreiben des Andernacher Lehrers Prof. Heinrich Aschenberg und des Eifelvereins eine Jugendherberge eröffnet. Die Schlafsäle wurden im achteckigen Turmaufsatz eingerichtet, während im großen Gewölbesaal der zweiten Ebene (heutiger Ausstellungsraum) ein Gemeinschaftsraum eingerichtet wurde.
Dort, wo heute die Marinekameradschaft Admiral Hipper Andernach e.V. ihr Vereinsheim unterhält, wurde 1921/22 die Wohnung der Herbergseltern eingerichtet.
Die Jungendherberge im Runden Turm entwickelte sich bis zu ihrer einstweiligen Schließung im Jahre 1935 zu einer der meistbesuchten Einrichtungen ihrer Art im Rheinland: Im Jahre 1927 zählte man hier 10.036 Übernachtungen; 1930 sogar 11.985. Hierfür standen anfangs 50 Betten in zwei Schlafsälen zur Verfügung, um 1930 wurde die Anzahl der Betten auf ca. 80 erweitert. 1935 wurde die Jugendherberge auf den Krahnenberg verlegt und die Hitler-Jugend (HJ) bezog den Runden Turm.
Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit
Während des Zweiten Weltkriegs wurde im Runden Turm ein Beobachtungsposten des Luftschutzes eingerichtet, die „Deusterkammer“ („düstere Kammer“) diente als Luftschutzraum. Auch das städtische Archiv wurde im Runden Turm zwischengelagert. Als am 9./10. März 1945 amerikanische Truppen Andernach einnahmen, wurde der Runde Turm beschossen und im oberen Bereich schwer beschädigt.
Erst 1952 konnten die Kriegsschäden behoben werden; der Runde Turm erhielt damals auch eine neue Kreuzblume aus Basaltlava aufgesetzt. Zu diesem
Zeitpunkt diente der Runde Turm bereits wieder seit drei Jahren als Jugendherberge – eine Funktion, die er bis 1961 beibehielt. Anschließend diente der Turm zeitweise als Probeort für Musikerinnen und Musiker des Andernacher Karnevalscorps.
Der Runde Turm heute
1985/86 und 2003 wurde der Runde Turm umfassend saniert. Auf der ersten Ebene unterhält heute die Marinekameradschaft Admiral Hipper Andernach e.V. ihr Vereinsheim, während ein Ausstellungsraum im großen Gewölbesaal des Basisturms die Bau- und Nutzungsgeschichte des Andernacher Wahrzeichens beleuchtet. Auf der Ebene des Wehrgangs, der eine großartige Aussicht über Andernach und die Umgebung bietet, wurde ein Raum der Jugendherberge rekonstruiert.
Hexen und Zauberer am Runden Turm
Der Runde Turm, einer der mächtigsten gotischen Wehrtürme Deutschlands und Andernacher Wahrzeichen, überragt mit seiner Höhe von 56 Metern die Silhouette der Stadt. Schon seit mehr als einem halben Jahrtausend kündet der nordwestliche Eckturm der Stadtmauer vom Selbstbewusstsein der Andernacher, wurde er doch im 15. Jahrhunderts aus rein städtischem Engagement errichtet.
Der 1453 vollendete Turm, von dem aus man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt und den Rhein genießt, sah unzählige Fürsten, Kaiser, Könige und Kriegerheere an sich vorüberziehen. Als Albrecht Dürer 1520 auf seiner Reise in die Niederlande Station in Andernach machte, war der Turm bereits fast ein Jahrhundert alt.
Seitdem gingen die Wogen der Zeit nur scheinbar spurlos an den bis zu vier Meter dicken Mauern vorüber. Der Beschuss durch Truppen des französischen Königs Louis XIV. setzten ihm zu, doch hielt der trutzige Wehrbau auch diesem Sprengversuch im Jahre 1689 stand. Noch heute zeugt ein tiefer Einschusskrater an der Südwestseite des Turmes hiervon.
Als Victor Hugo im September 1840 aus dem Fenster seines Hotels das Andernacher Wahrzeichen bewunderte, war der Runde Turm bereits ein Relikt einer längst vergangenen Epoche. Der Zahn der Zeit begann mehr und mehr an ihm zu nagen. Unkraut überwucherte das zerbröselnde Mauerwerk.
Hatte Victor Hugo im 19. Jahrhundert den Runden Turm als Zeugnis eines romantisch-verklärten Mittelalters bewundert, so betrachteten die Andernacher ihr Wahrzeichen in den vergangenen Jahrhunderten doch auch mit einem gewissen Zwiespalt. Es verwundert nicht, dass sich in der langen Zeit seines Bestehens innerhalb der dunklen Mauern des Turms auch weniger angenehme Ereignisse zutrugen als etwa die Schwärmereien für die Tochter des Turmwächters, die der Schriftsteller Friedrich Wilhelm Carové (1789–1852) in seiner Novelle „Ein Tag auf dem Stadtturm zu Andernach“ lyrisch verarbeitete.
Zahlreiche Schriftquellen haben sich erhalten, die Zeugnis davon ablegen, dass der Turm nicht nur ein Aussichts- und Wachtposten war, von dem aus ein Wächter den Rhein sowie das Hinterland meilenweit überblicken konnte, sondern auch als städtisches Gefängnis diente. Wenig bekannt ist, dass sich in seinem Untergeschoß ein über zehn Meter tiefes Verließ befindet. Dieser Kerker, im Volksmund „Deusterkammer“ (düstere Kammer) genannt, ist nur über eine Falltür von oben erreichbar, was bedeutet, dass sich die Gefangenen, so sie einmal in die Tiefe hinabgelassen worden waren, unmöglich alleine wieder befreien konnten. Unten erwartete den Unglücklichen ein bitteres Schicksal: Die Dunkelheit wird nur durch zwei kleine Lichtschächte erhellt, ansonsten waren die Gefangenen der Kälte und Feuchte ausgesetzt, die aus dem unbefestigten Boden aufstiegen.
Dieses harte Los wurde im Jahre 1509 Gerlach Hausmann von Namedy zuteil. Nach einem Fluchtversuch aus dem Verließ verstarb der wegen Amtsmissbrauchs, Bestechung und Betrugs in der Deusterkammer gefangene ehemalige Andernacher Bürgermeister und Schöffe 1510. Nur wenig später, im Jahre 1522, wurde der Runde Turm zum Tatort einer schauerlichen Begebenheit um die als Hexe verfolgte Andernacherin Grethe Crafft, die über zwei Monate hinweg im Verließ unter dem Turm gefangengehalten wurde. Ob sie während der Folter schließlich ein Geständnis ablegte, wissen wir nicht. Lediglich ihr Tod, sicherlich an den Folgen der Tortur, mit der ihr ein Geständnis entlockt werden sollte, ist verbürgt.
Aus dem Jahre 1632 wissen wir schließlich vom Fall des Hans Haen, der - als Zauberer verurteilt, der auf teuflischen Tanzplätzen gesichtet worden sei - versuchte, sich durch einen Sturz in die Deusterkammer das Leben zu nehmen…
Bei all diesen Berichten rund um schauerliche Begebenheiten verwundert es nicht, dass die Andernacher ihr Wahrzeichen stets auch mit einem gewissen Schaudern betrachteten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Bevölkerung hinter vorgehaltener Hand von Spukerscheinungen in dem alten Gemäuer gemunkelt. So wusste der Andernacher Lehrer und Archivar Stephan Weidenbach (1866–1936) zu berichten:
„… und manche als Hexe angeklagte Person mag nach unmenschlichen Torturen dem Tag ihrer Hinrichtung entgegengesehen haben. Somit ist es begreiflich, dass die Leute das Pfeifen des Windes als Schreien und Klagen der Hexen deuten. Auch soll der Teufel, der ja mit den Hexen in Verbindung stand, am Runden Turm sein Spiel treiben…“
Victor Hugo und der Runde Turm
Der berühmte französische Dichter und Romancier
Victor Hugo (1802–1885) besuchte im Zuge seiner
Rheinreise im September 1840 auch Andernach, wo er im Gasthof „Zum Kaiser“ (am heutigen Merowingerplatz)
abstieg.
Seine Andernacher Impressionen hielt Hugo in dem 1842 veröffentlichten Roman „Le Rhin“ fest, der bereits im selben Jahr auch in deutscher Übersetzung erschien („Der Rhein. Briefe an einen Freund“). Im 13. Brief dieses Werkes setzte der Hauptvertreter der französischen Romantik dem Runden Turm ein literarisches Denkmal. Dabei beeindruckte ihn die damals romantisch-verfallene Aura des mittelalterlichen Gebäudes besonders:
„Die Aussicht von meinem Fenster ist überraschend schön. Vor mir der Fuß eines hohen Berges, der mich kaum einen schmalen Streif des Horizontes sehen lässt, hierauf ein schöner Turm aus dem dreizehnten Jahrhundert, auf dessen Dache sich, in köstlicher Verbindung die ich bisher noch nirgends gesehen habe, ein kleinerer achteckiger Turm mit acht Frontons und mit einem kegelförmigen Dache erhebt […].
Ich hätte gerne jenen interessanten Turm bestiegen, den ich von meinem Fenster aus sehen kann und der allem Anschein nach die alte Vedette der Stadt ist; aber die Treppe ist abgebrochen und die Wölbung eingestürzt. Ich musste daher darauf verzichten. Übrigens hat diese prächtige Ruine so viele Blumen, so reizende Blumen und Blumen mit so viel Geschmack und Sorgfalt an allen Fenstern unterhalten, dass man sie für bewohnt halten könnte. Sie ist es auch, und zwar bewohnt von jener freundlichsten und zugleich scheuesten aller Bewohnerinnen, von jener milden unsichtbaren Fee, die in alle Ruinen zieht, und sie für sich und ganz allein für sich einnimmt, die alle Wölbungen darin, alle Platfonds, alle Treppen abbricht, damit der Schritt des Menschen die Vogelnester nicht störe, und die vor alle Türen Blumentöpfe stellt, welche sie als Fee aus jedem alten vom Regen abgelockerten oder von der Zeit ausgebrochenen Steine zu gestalten weiß.“
Darstellungen durch die Jahrhunderte
Eine der frühesten Darstellungen des Runden Turms stammt aus dem Jahre 1593: Der Kupferstich aus dem Umkreis der Kölner Hogenberg-Werkstatt zeigt die Verteidigung der Stadt Andernach gegen die Truppen des Olivier van den Tympel 1591 - Stoff für die im 19. Jahrhundert ausgeschmückte Bäckerjungensage.
Dieses Ölgemälde des namhaften Kasseler Malers Carl Euler (1815–1893) aus dem Jahre 1848 zeigt den Runden Turm eingebettet in eine phantasievolle Umgebung. Die Staffage im Vordergrund erinnert an italienische Genreszenen.
Auch diese Lithographie von François Stroobant (1819–1916) aus dem Jahre 1854 zeigt den Runden Turm eingebettet in eine romantische, phantasievoll zusammengestellte Szenerie.
Diese sehr frühen fotografischen Aufnahmen des Runden Turms (um 1858) stammen aus dem Atelier von Adolphe Braun (Dornach im Elsass). Die beiden Aufnahmen wurden von wenig auseinanderliegenden Standpunkten aufgenommen. Mithilfe eines speziellen Betrachtungsapparates war es möglich, daraus ein „stereoskopisches“, d.h. räumliches Bild zu erzeugen. Der Runde Turm trug in dieser Zeit noch Reste eines alten hellen Verputzes.
Im Jahre 1880 wurden am Runden Turm Restaurierungsarbeiten durchgeführt. Nicht nur erhielt das Andernacher Wahrzeichen damals eine neue Turmspitze, sondern es wurden auch die alten Tuffreliefs mit den Stadtwappen ausgetauscht und heraldisch falsch, da lotrecht, neu angebracht. Die Originale sind verschollen.
Zwischen 1945 und 1952 zeigte sich der Runde Turm – bedingt durch die Kriegsschäden – ohne Spitze. Links das Hotel Schäfer am Schänzchen sowie im Hintergrund die „Graue Schule“. Aus der Sammlung des Andernacher Stadtmuseums.
Ihr Besuch
Anfahrt:
Runder Turm
Ecke Konrad-Adenauer-Allee/ Kölner Straße
56626 Andernach
Der Aufgang zum Turm ist durch den Mauerdurchlass von der Konrad-Adenauer-Allee/ Ecke Kölner Straße oder von der Hochstraße her möglich.
Parkmöglichkeiten befinden sich z.B. im Parkhaus „Runder Turm“, Kölner Str. 5.
Wichtig: Bitte beachten Sie, dass der Runde Turm nicht barrierefrei zugänglich ist. Die Zuwegung zum
Ausstellungsraum und zum Wehrgang erfolgt über historische Frei- und Wendeltreppen.
Für alle Inhalte gilt: © Stadtmuseum Andernach. Texte: Dr. Kai Seebert.